Ich packe mein Fahrrad und trage es die Unterführung hinunter. Ein muslimisches Ehepaar kommt von unten entgegen. Sie, vielleicht 45, sieht mich und wechselt umhegend hinter ihren Mann auf die andere Treppenseite, und zwar so vorausschauend, dass sie bei der Begegnung oder besser der Nichtbegegnung mit mir immer hinter den breiten Schultern ihres Mannes in Deckung bleibt. Ihr Mann läuft mir unbeirrt entgegen, er rückt kein Jota zur Seite, doch nicht vor einem Fahrrad tragenden Unbekannten. Sein stolzer Blick, der mich links liegen lässt, fordert wortlos Respekt und Gleichbehandlung gegenüber einem Mitbürger mit Migrationshintergrund. Um ein Haar wären wir kollidiert, denn fahrradtragend erwarte ich selbstbewusst als ebenbürtiger Verkehrsteilnehmer respektiert und geachtet zu werden und weiche ebenso wenig zu Seite. Ich stecke fest im Modus des Alltagsradlers, der jede Woche von rücksichtslosen Autofahrern geschnitten oder gefährdet wird, und beständig die Würde aller Radfahrer vertritt. Ok, es war ein Fußgänger, der mir begegnete. Ich denke kurz nach fühle mich irgend wie verwandt mit meinem beinahe Kollisionspartner. Beide kämpfen wir in unserer Verschiedenheit um die Anerkennung des Schwächeren, einer Minderheit. Darum als gleich unter gleichen akzeptiert zu werden.
Doch da ist noch die Frau, die die sich geschickt versteckt hat, die im Schatten ihres Mannes bleibt weil sie muss oder will zumindest weil ihrer Tradition ihr das gebietet. Heute früh war in der Zeitung zu lesen, dass VW in Großbritannien einen sexistischen Werbespot nicht mehr zeigen darf. Den habe ich gleich gegoogelt. Er zeigt in Abfolge drei Männer in herausfordernden Tätigkeiten und zwei Frauen eine schlafend im Zelt mit ihrem Freund, eine andere auf einer Bank mit einem Kinderwagen vor sich. Richtig würde Alice Schwarzer sagen, die typischen Rollenschemen werden zementiert, dabei wollen wir doch Gleichberechtigung! Frauen sind genauso aktiv wie Männer. Meine ältere Tochter ist auf dem Weg zur Unternehmerin, zwar noch ganz am Anfang aber immerhin. Sie ist in der Lage unsere Firma zu führen, hat gute Anlagen. Leider hat sie bis heute wenig mit Technik zu tun gehabt, vermutlich habe ich als Vater versagt, bin in alten Rollenschemen verhaftete geblieben, ich hätte ihr Interesse locken, sie für Technik begeistern müssen. Also ja, einverstanden: bitte keine abgedroschen Frauenbilder transportieren. Und die Männer? Richtig, sie sollten auch die Kinderwägen schieben und im Haushalt mitarbeiten, tun sie inzwischen auch.
Doch gleichzeitig leben wir hier in Mitteleuropa in Parallelwelten, deren Spannungsfeld oft zum Zerreißen gespannt ist. Hunderttausende Flüchtlinge bringen ein ganz anderes Männer- und Frauenbild immer neu mit zu uns. Frauen geben Fremden keine Hand, verstecken oder verhüllen sich. Vor allem die emanzipierten Frauen in meinem Umfeld betonen: „diese Frauen wollen das so und das ist ihre persönliche Freiheit“. – Wie bitte? höre ich mich sagen, äh und was ist mit der Emanzipation? Und die Frage an unsere Gesellschaft lautet: mehr Freiheit oder mehr Gleichberechtigung? und was sollte der Staat dazu regeln?
Wir haben uns daran gewöhnt, wir leben gleichzeitig in mehreren Parallelwelten in einem Land und wir ordnen die Menschen entsprechend ihrer Herkunft ein: Muslime brauchen keine Gleichberechtigung, wir Deutschen ohne Migrationshintergrund, wenn ich das so sagend darf, brauchen sie jedoch umso, mehr bis hin zur Gendergerechtigkeit.
Also das mit dem Migrationshintergrund ist so eine Sache: haben wir nicht alle Migrationshintergrund? Ja und nein, ‚out of Afrika‘ ja, das sind wir alle, in der Nazizeit war es für jeden wichtig dem eigenen Migrationshintergrund nachzugehen, manche treiben auch heute aus freien Stücken Ahnenforschung, ist ja auch spannend! Da fällt mir meine Großmutter mütterlicherseits ein. Mit ihrem Mann kam sie aus Berlin zunächst in das unbedeutende Schweinfurt und dann in das noch unbedeutendere Miltenberg. Wenn sie geahnt hätte, dass einer ihrer Vorfahren aus dem Eutergrund, einem sprichwörtlichen Kuhkaff um die Ecke kamen, hätte es sie geschüttelt, die Vorzeigeberlinerin. Gott hab‘ sie selig, sie hatte kein leichtes Leben und ich hab ihr meines und das meiner Kinder zu verdanken.
Doch nochmal zurück mit der Frage: gibt es einen erlaubten Begriff, um die Menschen unseres Landes zu unterscheiden? Mit und ohne Migrationshintergrund scheint nicht weiter zu helfen. Unterscheidung nach Herkunftsland, Religion oder Hautfarbe? – geht gar nicht. Also vielleicht
unterscheiden wir sie in die, mit konservativem Rollenverständnis und die, die jedes Rollenverständnis ablehnen? Nein, das geht auch nicht, dann wäre ich mit meinem Rollenverständnis vielleicht näher an den Afghanen als an dem der Frauenrechtlerinnen?
Persönlich wurde ich von meinen Eltern, vor allem Mutter sehr modern erzogen, helfen im Haushalt, war Standard und Chancengleichheit, Schule, Studium, Berufswahl, Partnerwahl, nein da hat sie nicht unterschieden ob Mädel oder Junge. Und doch gibt es, wenn ich in die Abgründe meiner Seele blicke, einen Wunschbild von Frau, ein Idealbild einer Partnerin und Sexualpartnerin: Eine Frau ist etwas kleiner, schlank, liebevoll, anschmiegsam, selbständig, eine wahre Schönheit, zurückhaltend und doch klug, strahlend und gleichzeitig treu, jugendlich und doch weise, eine tiefgründige Gesprächspartnerin, eine unbeschwerte und unverdorbene erotische Gespielin und natürlich eine hervorragende Mutter, die mir wunderbare Kinder schenkt und gemeinsam mit mir erzieht … und, und, und. Ich gebe unumwunden zu, so einfach war und ist es nicht meinen Vorstellungen zu entsprechen. Und ja, zugegebenermaßen, so ganz modern ist mein Frauenbild nicht, doch was heißt schon modern! Ich will eine Frau und keinen Mann als Gegenüber? Da stellt sich die Frage, was unterscheidet uns als Mann und Frau? Außer der Körperlichkeit, die ich für durchaus wesentlich halte, möchte ich zunächst bei den inneren Werten bleiben. Sind die klassischen Bilder von Mann und Frau überholt? Der Mann stark, muskulös, mutig, Jäger, Beschützer und Anführer mit Weitblick, oder auch aggressiv, wenn sein muss, gnadenlos mit den Bösen, so wie uns die Klischees in jedem amerikanischen Spielfilm begegnen? Die Frau liebevoll, schön, äußerlich weich und innerlich stark, gemeinschaftsfördernd, vorausschauend, etc..
Ich merke schon, alleine bei der Suche nach geeigneten Begriffen komme ich persönlich ins Schleuder, denn einen eindeutige Zuordnung gibt es nicht. Männer haben auch weibliche und Frauen auch männliche Eigenschaften. Seit einigen Jahren bekennen ich öffentlich eine Vielzahl weiblicher Eigenschaften zu besitzen, auf die ich durchaus stolz bin: Ich bin ein Gemeinschaftsmensch, kann zuhören, Probleme erfassen, auch mal sanft Lösungen anbieten, ich versuche auf meine innere Stimme zu hören und die Gefühle anderer wahrzunehmen.
Wir auch immer, bislang hat unsere Gesellschaft Eigenschaften, Gemütsregungen und Gefühlslagen unsers menschlichen Daseins gerne in ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ eingeteilt – vielleicht sollte man heute besser sagen: klassisch weiblich und männlich, mit offener Zukunft?
Wenn der Wunsch nach Gleichberechtigung dazu führt, dass Männer und Frauen beliebige Eig