Vorbemerkung
Die Bedingungen unter denen Menschen in ärmeren Ländern arbeiten müssen, um zu überleben sind teilweise unwürdig. Der Umgang mit der Umwelt ist vielfach verantwortungslos. Neben den oft korrupten Regierungen sind auch europäische Firmen für die Missstände vor Ort verantwortlich und nutzen ihre Marktmacht gegen Menschen und Natur. Das muss verändert und auch bestraft werden. Alle Unternehmen sollten sich an einen Verhaltenskodex halten müssen, der Menschen und Umwelt schützt.
Die drängende Frage lautet: Wie kann Deutschland/Europa seiner Verantwortung gerecht werden und aktiv dazu beitragen, dass allgemein anerkannte Sozial- und Umweltstandards im Ausland eingehalten werden? Die vordergründige Antwort lautet: Lieferkettengesetz! Mächtige und zugleich verantwortungslose Unternehmen sollen auf marktwirtschaftlicher Ebene zum Handeln gezwungen werden. Meine Stellungnahme zeigt auf, dass das ein verschärftes Lieferkettengesetz für den Mittelstand nicht zumutbar ist, Kollateralschäden verursacht und die initiierten Ziele nicht erreicht.
Arbeitsteilige Gesellschaft
Die industrialisierte Wirtschaft ist hochgradig arbeitsteilig: Internet, Handys, Autos, Bahnen, Stereoanlagen, Beleuchtungssysteme, Flugzeuge. Heute erzeugen wir fast alle Produkte international vernetzt. An den jeweiligen Herstellungsprozessen sind Firmen in der ganzen Welt beteiligt. Das ist das Ergebnis westlicher Marktwirtschaft, des Kapitalismus und auch des chinesischen Staatskapitalismus. Jeder tut was er am besten oder günstigen kann und handelt dann mit den anderen. Wir als Firma Oswald z.B. produzieren das Produkt: Elektromotor — keine Elektronik, keine
weiteren mechanischen Bauteile. Dennoch beziehen wir trotz hoher Fertigungstiefe, für die von uns produzierten Maschinenkomponenten, Einkaufsteile von etwa 1000 verschiedenen Lieferanten. Diese wiederum haben, so vermute ich, viele zehntausend Vorlieferanten.
Missbräuchliche Verwendung des Begriffs Sorgfaltspflicht
Die „Initiative Lieferkettengesetz will diese menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen gesetzlich festschreiben und orientiert sich damit an der Umsetzung eines international anerkannten Standards“. Sie suggerieren, dass es sich bei dieser Sorgfaltspflicht um
etwas Selbstverständliches handelt. Einer Sorgfaltspflicht, wie man sie gemeinhin verstanden wird, stimme ich sofort zu, für meine Handlungen bin ich eindeutig selbst verantwortlich. Eltern haben mit Recht die Sorgfaltspflicht ihren Kindern gegenüber, der große Bruder dem kleineren, dafür haben wir alle Verständnis. Eine strafrechtlich einforderbare Verantwortung für eine x-fach verschachtelte Lieferkette ist etwas ganz anders, sie reicht über den Begriff Sorgfaltspflicht weit hinaus! In diesem
Sinne wird das Wort Sorgfaltspflicht absichtlich missbraucht und verharmlost.
Tatsächlich erfolgt vor allem für Deutschland eine Umschichtung der Verantwortung von groß nach klein! Kleinere Unternehmen werden nun dafür verantwortlich gemacht, wie ihre viel größeren Lieferanten handeln. Um im Bild zu bleiben, soll nun der kleinere Bruder für den größeren und das minderjährige Kind für die Handlungen der Eltern verantwortlich gemacht werden.
Beispiel Deutscher Maschinenbau
Deutschland lebt nicht zuletzt von seinem starken Maschinenbau. Das sind vor allem mittelständische Firmen, die sich auf irgendwelche innovative Techniken spezialisiert haben. Alle diese Firmen sind darauf angewiesen sich von großen Unternehmen mit Kupfer, Stahl, Aluminium, PM Magneten, Kunststoffen, Halbleitern oder Steuerungen beliefern zu lassen. Diese großen Hersteller diktieren dabei oft die Preise. Sie heißen Siemens, MAN, Thyssen Krupp, Voestalpine AG, Bosch, Kion, Kuka etc.. Wobei die letzten zwei inzwischen Chinesen gehören. Nebenbei, es steht mir nicht zu einen der genannten für irgendwelche Unregelmäßigkeiten verantwortlich zu machen.
4 konkrete Beispiele zur Firma Oswald
Die drei wichtigsten und teuersten Rohstoffe, die wir beziehen, heißen Stahl, Kupfer und PM Magnete. Gerne kommen wir unserer ‚Sorgfaltspflicht‘ nach. Bitte geben Sie uns Tipps, was wir tun können um den geforderten, Beitrag zu einer fairen und ökologische Welt zu leisten und gleichzeitig Rechtssicherheit für unsere Firma zu behalten.
Beispiel 1: Gehäusestahl
Als Firma mit 200 MA kaufen wir etwa 1000 geschweißte Stahlgehäuse bei einem Hersteller mit 50 MA, dieser kauft bei einem Lieferanten in Südeuropa mit 100 MA. Dieser kauft bei einem Stahlhändler, der wiederum kauft bei einem großen Stahlkonzern mit vermutlich zehntausenden von MA irgendwo auf der Welt. Dieser lässt vermutlich von verschiedenen Unternehmen weltweit Eisenerz für seine Hochöfen abbauen, baut selber ab und bezieht bei Recyclingfirmen Zusatzmaterial. Wenn eine dieser Firmen irgendwo auf dieser Welt ihre Mitarbeiter schlecht behandelt oder Umweltstandards nicht einhält, dann wollen sie erreichen, dass meine Firma dafür zur Rechenschaft gezogen wird?
Beispiel 2: Dynamoblech
Das Dynamoblech, der wichtigste Bestandteil unserer Motoren, kaufen wir bei einem österreichischen Stahlkonzern. Dieser ist ein weltweit agierender Technologie- und Industriekonzern. Sein Umsatz betrug 2016 etwa 11 Milliarden EUR. Sein Umsatz mit uns betrug letztes Jahr ca. 3 Mio. Euro, das sind etwa 0,03% des Konzernumsatzes. Bitte machen Sie mir einen Vorschlag, wie ich an Informationen kommen, oder Einfluss ausüben kann, so dass ich meiner Sorgfaltspflicht nachkommen könnte. Welche und wie viele Aktivitäten dieses Konzerns sollte ich untersuchen um meiner Sorgfaltspflicht zu genügen? Sie wollen durchsetzen, dass ich zu Rechenschaft gezogen werde, falls mein Lieferant, oder einer seiner Lieferanten die Umwelt verschmutzt oder schlecht mit seinen Mitarbeitern umgeht? — Sicher, ich hätte Einkaufsalternativen: Die größten Stahlkocher der Welt in Mio. Tonnen Rohstahl sind: China (808,4), Japan (104,8), Indien (95,6), Vereinigten Staaten (78,5) und Russland (70,8), Deutschland rangiert mit 42,1 Millionen Tonnen Platz 7. Sollte ich den Lieferant wechseln? Nach welchen Kriterien sollte ich mir einen neuen Lieferant suchen?
Beispiel 3: Permanentmagnete
Als Firma mit 200 MA kaufen wir pro Jahr 6 Tonnen Neodym — Magnete in China. Eine unersetzliche Komponente unserer Direktantriebe. China produziert etwa 96% der weltweiten Magnete. Wir kaufen bei der europäischen Vertriebsniederlassung eines Chinesischen Unternehmens. Letzterer ist mit einigen tausend Mitarbeitern der weltgrößte Magnethersteller. Er produzierte, nach eigenen Angaben, 8300 Tonnen Magnete im Jahr 2019 und bezieht Material aus etwa 10 verschiedenen Mienen. Wir beziehen jährlich 6 Tonnen von ihm, das sind weniger als 0,1% seiner Produktions-menge. Unser Lieferant gibt uns gerne Zertifikate zu seinem Umweltmanagementsystem. Das hört sich ganz gut an, genügt das? Sie wollen dass ich meiner Sorgfaltspflicht erfülle. Was soll ich tun? Werden die Menschenrechte in China aus deutscher Sicht nicht immer wieder mit den Füssen getreten und zwar das vom Staat verordnet? Sie wollen erreichen dass ich ggf. wegen mangelnder Sorgfaltspflicht vor Gericht gestellt werden kann. Soll ich meinem Lieferanten damit drohen meine Magnete anderswo zu kaufen, wenn er deutsche Standards nicht einhält?
Beispiel 4: Kupfer
Der bedeutendste Kupferproduzent der Welt ist Chile, mit großem Abstand folgen Peru und die USA. In Europa gibt es nennenswerte Vorkommen in Polen, Portugal und Schweden. Kupfer kaufen wir, wie viele andere Firmen an der Börse (wir spekulieren nicht, wir kaufen um das Material zu verarbeiten). Wir kaufen etwa 200 Tonnen pro Jahr. Dieses virtuelle Kupfer ‚liefern‘ wir an unseren Lieferanten. Dieser hat sich darauf spezialisiert Firmen mit konfektioniertem Kupferdraht zu beliefern. D.h. für ihn arbeitet eine ganze Reihe von Drahtziehern auf der ganzen Welt. Diese erhalten irgendwann Material von meinem Lieferanten und konfektionieren es. Mein Lieferant liefert uns den Kupferdraht, bis die virtuell gekaufte Kupfermenge verbraucht ist. Dann kaufen wir wieder
und ‚hinterlegen‘ die neu gekaufte Kupfermenge bei ihm. Unser Lieferant verkauft im Jahr 125 000 Tonnen Kupfer (45% Recyclinganteil). Wir kaufen 0,16% seines Jahresumsatzes. Auf meine Nachfrage hin wurde ich darüber informiert, dass ‚unser‘ Kupfer aus europäischen Mienen und Recycling Prozessen kommt. Ggf., so ahne ich, kommt ein bestimmter Kupferanteil auch aus chilenischen Mienen. Wie könnte ich vorgehen um sicherzustellen, dass die Menschen beim Abbau des Kupfers für mich menschliche Arbeitsbedingungen haben, genügend Geld zum Leben verdienen, dass Frauen in der Mine die gleiche Chance und Bezahlung erhalten, wie ihre männlichen Kollegen? Mit welcher Antwort meines Lieferanten darf ich mich zufriedengeben?
Rechtssicherheit, Klagen und Anzeigen
Der Standort Deutschland hat Vor- und Nachteilen. Einer der wichtigsten Vorzüge unseres Standorts ist die eindeutige Rechtssicherheit für Unternehmen. Das Lieferkettengesetz untergräbt diesen Vorteil und gibt uns Mittelständler zum Abschuss frei, indem wir eine nicht endende Verantwortung für die moralischen Fehlverhalten fast beliebiger anderer Unternehmen übernehmen sollen. Das schwächt den Standort Deutschland massiv und unnötig und macht ihn unattraktiv! Die Initiatoren des Lieferkettengesetzes sagen: „Unternehmen, die für Schäden an Mensch und Umwelt verantwortlich sind, müssen dafür haften“, da sind wir uns einig! Nicht einig sind wir uns, wenn wir für die Schäden anderer haften sollen. „Geschädigte müssen auch vor deutschen Gerichten ihre Rechte einklagen können“, wird postuliert. Tatsächlich wird es vermutlich anders kommen. Amerikanische Anwälte werden vor amerikanischen Gerichten Klagen einreichen. Sie reiben sich jetzt schon die Hände und werden die neue Gesetzeslage gerne nutzen um zum Abkassieren deutsche Mittelständler zu verklagen. In den USA ist es schon lange ein lukratives Geschäftsmodell mit aussichtsreichen Klagen Geld zu machen.
Beweislastumkehr
Die Initiatoren des Lieferkettengesetztes sagen, „die grundsätzliche Einhaltung der Sorgfalt muss ein Unternehmen beweisen“. In einer rechtlichen Auseinandersetzung ist die Nachweispflicht der entscheidende Punkt, hat sie der Kläger oder der Beklagte? Hat der Unternehmer die Beweislast, so kann ein Anwalt eine nahezu beliebige Behauptung aufstellen und der Unternehmer muss beweisen, dass er seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist. So vermute ich, dass Mittelständler verklagt werden, wenn z.B. ihre Erz abbauenden Vor- Vor-, Vorlieferanten die Menschenrechte nicht einhalten oder die Umwelt verschmutzen. Sie sind mitschuldig im Sinne der Anklage.
Beispiel Nigeria oder warum das geplante Lieferkettengesetz nicht greift
In Nigeria fördert eine Handvoll großer westlicher Konzerne Öl. Die Ölbohrinseln stehen in der Nähe des Festlandes. Auf den Bohrinseln sind Mitarbeiter aus verschiedensten Ländern der Welt, beschäftigt. Nigerianer aus der Nähe der Förderplattform erhalten keine Arbeit. Das Geschäft machen die Konzerne ohne Beteiligung der Menschen vor Ort, gemeinsam mit der korrupten Regierung. Viele Einheimische zapfen illegal die Pipelines an und kochen, unter für Menschen und Umwelt katastrophalen Bedingungen und Folgen, Diesel aus Erdöl. Andere Nigerianer haben sich auf Entführungen spezialisiert. Die Betreiber der Ölplattformen schützen sich mit bewaffneten Schnellbooten vor deren Angriffen für etwa 300 Mio. Euro jährlich.
Unser Lieferkettengesetz schaut ob die Konzerne anständig mit ihren Mitarbeiter umgehen und ob sie das Meer verschmutzten oder nicht. Beides wird zur Zufriedenheit funktionieren und lässt die katastrophalen Bedingungen für Mensch, Natur und Landesentwicklung unbeeinflusst.
Darüber hinaus ist die Bevölkerung von Nigeria innerhalb von 50 Jahren von ca. 50 Mio. auf heute ca. 180 Mio. Menschen angestiegen. Zusammengefasst: die Probleme von Nigeria sind Misswirtschaft, Korruption und Bevölkerungswachstum. Das Lieferkettengesetzt wird daran nichts ändern.
Vorbildfunktion des Deutschen Staates
Wenn der deutsche Staat oder Europa die Türkei oder die Mächtige in Libyen dafür bezahlt, dass sie Flüchtlinge unter miserablen Bedingungen kasernieren, davon abhalten weiterzuziehen und ihnen nicht annähernd die Menschenrechte zusprechen, die diese Menschen bei uns hätten, so ist unsere
Regierung ein Paradebeispiel für die schlechteste Lieferkette. Suchen sie die Verantwortlichen in Deutschland und Europa und verklagen sie diese! Die Flüchtlingslieferanten oder -zurückhalter treten unsere Gesetze bekanntermaßen mit den Füßen. Sie wollen erreichen, dass Unternehmen deutlich moralischer auftreten als unser Staat selbst?!
Bürokratie
Der bürokratische Aufwand in Deutschland ist an sich ein riesiger Wettbewerbsnachteil, vor allem für den Mittelstand. Die Initiatoren des Lieferkettengesetztes sagen: „Um eine doppelte Berichtspflicht zu vermeiden, muss die Einhaltung des Lieferkettengesetzes gleichzeitig auch als Erfüllung der Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung gelten“. Da bin ich gespannt. Ein Heer von Juristen, Bürokraten und Besserwissern aus dem tertiären, nicht produktiven Sektor, reiben sich schon die Hände, weil ein weiteres verpflichtendes Managementsystem auf den Markt kommt.
Fazit
Nach Abwägung der Argumente bin ich eindeutig gegen ein derartiges Gesetzt. Es wird nicht in der Lage sein die Machenschaften derer zu ändern, die es im Visier hat. Dafür wird es die treffen, die ihrer Sorgfaltspflicht schon heute am nächsten kommen.
Johannes Oswald, Miltenberg, 30.10.2019
PS: Ein großer Kunde hat mich kürzlich tagelang mit enormen Forderungen zum Verhaltenscodex beschäftigt. Es ist genau der, der durch seine Betrügereien, wie kein anderes Unternehmen der Nachkriegszeit, die Marke ‚Made in Germany‘ diskreditiert hat. Ein anderes Großunternehmen, ein Unterzeichner ihrer Forderungen hat lange Jahre viele seiner Mitarbeiter nur als Leiharbeiter beschäftigt. Beide Vorzeigeunternehmen werden uns mit dem Lieferkettengesetz die Hölle heiß machen.