Die deutsche Chinastrategie

Deutschland ist eine große Industrienation in der Mitte Europas. Wirtschaftlich kennzeichnend für uns ist: Wir haben wenig Rohstoffe, jedoch eine hohe Innovationskraft, einen genial vernetzten Mittelstand, eine starke Großindustrie, hochwertig Forschung und Wissenschaft und ein gutes Bildungs- und Sozialsystem. Das zusammen hat uns in den letzten Jahrzehnten Wachstum und Wohlstand beschert. Aktuell sind wir dabei vieles über Bord zu werfen, denn unsere Gesellschaft geht davon aus, dass die Grundlage unseres Wohlstandes selbstverständlich vorhanden ist und auch ohne weiteres Zutun so vorhanden sein wird. Im Folgenden werde ich aufzeigen, dass dies ggf. ein fataler Irrtum ist.

Vorgehen der deutschen Wirtschaft

Als Exportnation profitiert die deutsche Wirtschaft von den Wachstumsmärkten dieser Welt, u.a. vom jahrzehntelangen Wachstum Chinas. China profitiert jedoch ebenso, wenn nicht noch mehr von Deutschland. Weil es einen riesigen Markt bedient und zur Werkstatt der westlichen Welt geworden ist. Weil es zumindest lange ohne eigene Entwicklung modernste Technik kaufen konnte und kann und weil es dadurch stetig Know how aufbaut. Dabei wird China kräftig von der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt. Seit Jahrzehnten verschenken Vertreter der Großindustrie und der finanzgeführter Unternehmen das Know How ihrer Firmen für einige Jahre guter Umsätze. Warum tun sie das? Einerseits sind sie nur einige Jahre im Amt, andererseits müssen Sie anstatt langfristiger Ziele Quartalserfolge vorweisen. Mittelständler machen ebenfalls gute Geschäfte, denken jedoch langfristig und versuchen ihr Kern-Know How zu schützen. Inzwischen spüren deutsche Firmen aller Couleur immer öfter die chinesische Konkurrenz. Noch haben deutsche Unternehmen Know how und Qualitätsvorteile, dafür arbeiten chinesische Unternehmen mit hoch subventionierten Halbfertigprodukten, wie z.B. Stahl, mit billigen Arbeitskräften und einer beliebig starken Rückendeckung durch den chinesischen Staatsapparat.

Chinesische Firmenübernahmen

Dieser Staatsapparat verfolgt klare wirtschaftspolitische Ziele. Wenn chinesische Firmen es nicht aus eigener Kraft leisten können, gehen sie durch den Staat finanziert auf Einkaufstour in Europa, gerne auch in Deutschland. Der Kauf von Kuka ist einer der bekannteren Deals chinesischer Strategen. Dem hat ein betriebswirtlicher Kapitalismus westlicher Prägung kaum etwas entgegenzusetzen. Immerhin, nach der chinesischen Übernahme von Kuka (bei der sich die dt. Politik außerstande sah den Deal zu verhindern) planen Deutschland und die EU-Kommission derartige Übernahmen künftig zu verhindern, insofern sie die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in Gefahr sehen. Konkret nennt die Kommission dabei kritische Infrastrukturen, etwa Strom- oder Telefonleitungen, Datenspeicherung oder Finanzdienstleistungen, aber darüber hinaus auch “kritische Technologien”, darunter künstliche Intelligenz, Halbleiter, Robotik. US Amerika tut sich bei derartigen Entscheidungen leichter, dort entscheidet der Präsident per Dekret.

Marktwirtschaft oder Nicht-Marktwirtschaft?

Bislang haben Europäer und US Amerikaner verhindern können, dass China von der WTO als Marktwirtschaft anerkannt wurde. Die bisherigen Abwehrmaßnahmen der westlichen Welt in Form von Antidumpingzölle würden anderenfalls nicht mehr greifen. Durch die allgegenwärtige Präsenz des chinesischen Staates in der Wirtschaft, den fehlende Schutz des geistigen Eigentums und durch die ungezügelte Gewährung von Subventionen, heißt es im amerikanischen Bericht, bleibt China weiterhin als „Nicht-Marktwirtschaft“ eingestuft. Das kostet der chinesischen Wirtschaft Milliarden und China versucht mit aller Macht diesen Status zu ändern. Nach dem Ausstieg der USA aus dem Klimaschutzpakt z.B. ließ China die gemeinsame Erklärung zu eben diesem in letzter Sekunde ebenfalls platzen, weil sich die anderen Unterzeichner, vor allem Europäer, im Gegenzug nicht bereiterklärten China den Status der Marktwirtschaft zu gewähren. Der Versuch beliebige Themen zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu vermischen, spricht Bände. Durch sein finanzielles
Engagement und die oft resultierende Abhängigkeit weiterer Staaten von China rückt eine Anerkennung durch die WTO jedoch in greifbarere Nähe.

Chinesische Wirtschaftsstrategie

Gleichzeitig führt der Weg Chinas weg von der westlichen Marktwirtschaft. Die Denkfabrik European Council on Foreign Relations schrieb vor kurzem: China stärkt seine Planwirtschaft und bewegt sich hin zu einer voll staatsgelenkten Industrie- und Technologiepolitik. Der ‚planwirtschaftliche Kapitalismus‘ chinesischer Ausprägung funktioniert dabei nahezu perfekt. Seit Jahrzehnten ist ein enormes Wachstum Teil der chinesischen Realität geworden, ein Wirtschaftswunder ohne absehbares Ende. Dies hat China das Ende von Hunger, einen enormen Aufschwung und stetig wachsenden Wohlstand beschert. Respekt! Psychologisch erzeugt dies einen gesellschaftlichen Zustand großer Zufriedenheit, denken wir an das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Krieg. Menschen die sehen, dass es aufwärts geht, sind durchwegs glücklich und vergleichsweise unkritische dem Staat gegenüber. In wie fern ein derartiges System auch bei einem Null Wachstum überlebensfähig wäre, bleibt fraglich. Tatsache ist, China musste diesen Beweis bislang noch nicht antreten. In den Medien wird die chinesische Art des planwirtschaftliche Kapitalismus inzwischen vielfach als den westlichen Demokratien überlegen präsentiert. Tatsächlich ist dieses System enorm schlagkräftig: Chinesische Entscheidungen sind von keiner Wahl oder Mehrheit abhängig. Das Land wird eher wie ein großer Konzern mit stabiler Führungsmannschaft geführt. Vor allem die bürokratischen Nachteile der westlichen Welt entfallen fast komplett. Entscheidungen sind zukunftsweisend, wirtschaftsorientiert, schnell und umsetzungsstark. Die individuelle Freiheit ist gering, doch wen interessiert das ernsthaft, wenn es stetig aufwärts geht? Chinas stringente Führungselite plant immer langfristig und benennt die chinesische Strategie ehrlich beim Namen, z.B. im „National Medium and Long-Term Program for Science and Technology Development (2006–2020)“und dem 12. Fünf-Jahresplan (2011–2015). Hier heißt es inhaltlich: Es geht darum die einheimischen, chinesischen Innovationen zu stärken und die Technologieführerschaft zu erringen. Der Import von ausländischer Technologie soll in wenigen Jahren auf 30% reduziert werden. Das wären z.B. unsere deutschen Exporte! Die dazu benötigten Technologien sollen bis dahin aus dem Ausland importiert werden. Aktuell werden einen ganze Reihe technologischer Produkte, auch Produkte unserer Firma, von High End Produkten heruntergestuft und dadurch im Gegensatz zu vorher in China zollpflichtig. Umgehend reagieren z.B. die chinesischen Niederlassungen deutscher Autokonzerne und fordern ihre europäischen Lieferanten (und diese wiederum uns) unmissverständlich auf sie ab sofort direkt aus China zu beliefern um Zölle zu sparen. Nahezu zeitgleich wird die gesamte Lieferkette aufgefordert in China zu produzieren um Transportkosten zu sparen, denn so können die Großen von niedrigeren Material- und Lohnkosten profitieren. Vom Know how Transfer und der Frage was derartige Forderungen letztlich für Deutschland oder Europa bedeutet ist hierbei nicht die Rede. Auch das ist ein Teil des Kapitalismus, er kennt keine Moral oder Verantwortung für andere — damit geht die Chinesische Strategie auf. Doch zurück zum Text, hier heißt es weiter: Chinesische Wissenschaftler sollen beim Ranking von Patenten und Zitationen zu Top 5 der Welt aufsteigen. Bis 2049, zum 100. Geburtstag der Volksrepublik, will man in den dann zehn wichtigsten Wirtschaftsbereichen global führend sein (Welt Stand: 27.05.2019).

Amerikanische China — Strategie

Wer die Wirtschaft beherrscht, beherrscht auch die Welt. Das war bislang die kapitalistische Maxime der USA. Der Sieg über den russischen Kommunismus in seinen vielen Fassetten hat den USA bisher heute brillant Recht gegeben. Nun steht der chinesische Drachen drohend vor der amerikanischen Freiheitsstatue und stellt das westliche, US amerikanische Hegemonial System, nach langem wieder mal in Frage. Es könnte sein, dass die Welt von morgen nicht mehr so ist, wie die von heute. Die großen Werte der Demokratie: Freiheit, soziale Marktwirtschaft, Menschenrechte etc., die wir immer wieder gerne voranschieben und meist nur halbherzig umsetzen, werden plötzlich von außen in Frage gestellt. Donald Trump reagiert und mit ihm erwacht der amerikanische Instinkt des Dagobert Duck, der seinen Reichtum und auch seine Vorherrschaft mit allen Mittel zu verteidigen sucht. Dazu führt D.T. zurzeit nahezu beliebig Strafzölle gegen China und auch andere unliebsame Konkurrenten, wie Deutschland, ein, um dann im Nachgang zu verhandelt. Das bekannteste Beispiel ist Huawei.
Durch kanadische Handlanger lassen die USA eine Chefin des Konzerns gefangen setzten. Sie schließen Huawei für den Bau der amerikanischen Mobilfunknetze der fünften Generation (5G) aus. Auf Dekret des Präsidenten zum Nationalen Notstand entzieht Google Huawei 2019 die Android-Lizenz. Kein Amerikaner darf nun mit Huawei oder seinen 70 Töchtern Geschäfte machen. Die Erpressung Europas es gleich zu tun, ist im Gange. Plötzlich befinden wir uns mitten im Wirtschaftskrieg.

Deutsche China — Strategie

Doch nun zur Chinastrategie der Bundesregierung Deutschland, wie verhalten wir uns? Ende März 2014 unterzeichnen Xi Jinping und Merkel eine Vereinbarung, die in der Deutschen China-Strategie des BMBF 2015–2020 nachzulesen ist. Hier heißt es: die Deutschen Forschungs- und Wissenschaftslandschaft habe großes Interesse daran, an den Entwicklungen in China zu partizipieren. Strategie ist es, den Erfolg und gegenseitigen Gewinn der Kooperationen in Forschung und Bildung sicherzustellen. Als da wären: Innovationspartnerschaften und Zugangsmöglichkeiten deutscher Studierender und Wissenschaftler zu exzellenten chinesischen Hochschul- und Forschungseinrichtungen. Weiter geht es: um Internationalisierung der Lehre und Forschung an deutschen Hochschulen durch strategisch ausgerichtete, strukturierte Kooperationen deutscher und chinesischer Hochschulen. Und ferner um: breitere, öffentlich zugängliche Wissensbasis über das chinesische Bildungs-, Forschungs- und Innovationssystem, mehr China-Kompetenz in Deutschland.
Tatsache ist von diesem Deal profitiert vor allem China und partizipiert seit Jahrzehnten an der exzellenten deutschen Wissenschaft und nicht umgekehrt. Im Ranking hochwertiger Patente liegt Deutschland mit weniger als 6% der chinesischen Bevölkerung immer noch vor China! Als Ergebnis der ungleichen Partnerschaft wurden aus 23 000 chinesischen Studenten in Deutschland in 2010, knapp 40 000 in 2017. Im Gegenzug studierten 2010 4000 deutsche Studenten in China, 2016 waren es 8145. Weiter heißt es: Günstige Rahmenbedingungen für das China-Engagement der deutschen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Das ist Realität: Deutsche Forschungsinstitute kooperieren zu den allerneuesten Themen, z.B. zur Künstlichen Intelligenz, sein mehr als zehn Jahren mit chinesischen Unternehmen und bauen in China Forschungsinstitute auf. Das bedeutet viel Ruhm und Ehre für deutsche Wissenschaftler! Doch welches Land profitiert vor allem von dieser Kooperation? Ich erinnere daran, wir haben kaum Rohstoffe und hohe Löhne. Unser Vorsprung bestand im Know how. Wem also, dient einen intensive Kooperation? Der Welt, China oder auch Deutschland? Ich vermute diese Kooperationen laufen aus sobald China die Nase vorne hat. Weiter geht es in der Vereinbarung um: die Bewältigung von globalen Herausforderungen … nachhaltig, ressourcenschonend, umweltfreundlich. Das ist unser deutsches Steckenpferd (ich schließe mich ein). Vermutlich werden wir die Welt retten und dabei unsere wirtschaftlichen Vorteile verschenken. Irgendwo habe ich noch unter 4.1 noch gefunden: Übergeordnetes strategisches Ziel der internationalen Kooperation des BMBF ist die Stärkung der deutschen Wissenschaft und Forschung. Na, Gott sein Dank! Zumindest ein Lippenbekenntnis, mehr wird es wohl nicht sein.

Vorläufige Zusammenfassung

Die deutsche Politik und Wissenschaft beteiligt sich seit vielen Jahren umfangreich und mit großem Interesse daran deutsches Know how in China zu verbreiten und damit den deutschen Know How Vorsprung abzubauen. Dieser schrumpft derzeit dramatisch und damit viele zukünftige Möglichkeiten moderne Technik nach China zu verkaufen, verschwindet. Beide, Politik und Wissenschaft, leben von den Steuern der Bürger und der deutschen Firmen. Warum Sie mutwillig ihre eigene Grundlage zerstören bleibt mir ein Rätsel.
Es sollte uns bewusst sein, dass wir es nicht mit einem gleichberechtigten Land zu tun, dem wir mal gerne in partnerschaftlicher Zuneigung auf die Sprünge helfen. Wir haben es mit einem Land zu tun, das 16mal so viele Bürger hat wie Deutschland oder 3mal so viele wie Europa. China ist ein Land, das die strategischen Vorteile der Planwirtschaft sehr klug mit den Vorteilen eines knallharten Kapitalismus kombiniert. Gleichzeitig schätzt China unser freiheitliches Wertesystem als schwach ein und könnte in der Lage sein die seit Jahrzehnten fast gottgegebene Dominanz der westlichen Welt zu beenden. China hat die Industrialisierung verschlafen und holt nun in großen Schritten auf.
Die Frage an uns bleibt, warum wir unser Know How zu Markte tragen bzw. einfach verschenken? Es ist nicht unerheblich in welcher Zeit sich China ganz nach vorne arbeitet, in 5, 10, 20 oder 30 Jahren. Für die anstehende Digitalisierung scheint China weit besser als Europa und vermutlich auch besser als die USA gerüstet zu sein und geht in großen Schritten vorwärts. So könnte es sein, dass wir in Zukunft als Vasallen eines übermächtigen Chinas arbeiten, oder auch eine Art europäisches Freilichtmuseum der Kulturen und der Industrialisierung werden. Vielleicht behaupten sich die Amerikaner mit ihrer IT- und Militärmacht gegen den neuen Riesen, wir werden sehen. Ob uns Europäern das eher schadet oder nutzt bleibt dabei offen. Die Begeisterung von Donald Trump für den englischen Brexit ist keine wirkliche Beruhigung.

Johannes Oswald, Miltenberg, 2.Juni 2019