Sind wir auf dem Weg zur Planwirtschaft?

Unsere Welt ist kompliziert geworden. Moderne Technik, Computer, Handy, nahezu beliebige Mobilität, Automatisierung und Digitalisierung bestimmen unser Leben. Vieles wird unklar, was einmal eindeutig war. Fake News und Verschwörungstheorien von ganz rechts bis ganz links, Kriege und Katastrophe beherrschen die Informationskanäle. Gleichzeitig wird alles exakter, überschaubarer und verwirrender zugleich und noch dazu leben wir hier in einem nie dagewesenem Wohlstand. Was uns jedoch nie auszugehen scheint sind Probleme und Unzulänglichkeiten, Gier und Neid, Not und Ausgrenzung. Zusätzlich gilt es, so will es die Politik, eine große Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern aufzunehmen und zu integrieren.

Diese Gemengelage in einem gerechten und friedlichen Gleichgewicht zu halten, Ungleichheiten auszubügeln und Schwächere und die Umwelt zu schützen, ist die nicht beneidenswerte Aufgabe unseres ökologischen Sozialstaates. In Brüssel, Berlin oder auch München unternehmen Politiker große Anstrengungen, um das Leben für alle Menschen so rechtssicher, fair, ökologisch und angenehm wie möglich zu gestalten.

Ein Heer von Beamten und Angestellten aus verschiedenen Verwaltungsebenen und Ressorts versucht die, sich beständig wandelnde, Gesetzeslage in Verordnungen und Handlungsanweisungen zu übersetzen, diese zu ergänzen, zu revidieren oder auch neu zu gestalten. Wenig überraschend, aber vielfach unbeachtet, stehen wir heute staunend vor einer schier unendliche Zahl von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften, die unser Leben regeln.

Nach jahrzehntelang Zuwachs immer neuer und zusätzlicher Regulierungen seit Ende des Krieges, macht sich in Deutschland und auch in Europa langsam die Erkenntnis breit, dass es so nicht weitergehen kann. Mit den Hauptmotivationen Gerechtigkeit, Energieumbau und Naturschutz, haben sich die Regulierungserzeuger immer tiefer verstrickt und verhakt und es ist ein Dschungel von Verordnungen entstanden, der so einfach nicht mehr zu durchblicken oder auch zu erfüllen ist. Nahezu jedes Vorhaben, sei es für Unternehmen oder auch Privatpersonen macht es erforderlich, geschulte ,Pfadfinder‘ zu engagieren. Dabei gibt es heute für jeden Dschungelbereich eigene Pfadfinder, die typischerweise Jura, Volkswirtschaft oder Betriebswirtschaft studiert und sich zu Spezialisten ihres jeweiligen Faches weiterentwickelt haben. Selbst Verwaltungsbeamte streichen mittlerweile die Segel und überlassen das Feld einem ständig wachsenden Segment von Beratern. Und diese interpretieren und detaillieren fleißig jede Gesetzeslage, gerne auch zum eigenen Nutzen. Wer könnte es Ihnen verdenken, sie sind schließlich privatwirtschaftlich auf Gewinn aus und streben wie alle anderen Wachstum und eine erfolgreiche Zukunft an. Unter dem Dschungeldach von Gesetzen und Verordnungen ist so eine Schattenwirtschaft von hoch dotierten Beratern entstanden, die mit den ihnen übertragenen Befugnissen, alle in der realen Wirtschaft Handelnden von sich abhängig machen. Sie verdienen gut und sind bestrebt, ihr Risiko auf Null zu minimieren. Dieses, ihr Sicherheitsbedürfnis, bezahlt ihr zwangsverpflichtetes Klientel, kleiner und großer Unternehmen, die im primären Bereich arbeiten und in regionaler, nationaler oder internationaler Konkurrenz stehen, mit zusätzliche Kosten. Als wäre das nicht genug, hat diese neue Beraterbranche einen kleinen Schönheitsfehler: sie trägt nämlich wenig bis nichts zum Mehrwert der Gesellschaft und der Menschen bei. Nochmal erschwerend kommt hinzu, dass in diesem tertiären Wachstumsmarkt, der beratenden und prüfenden Büros, hochintelligente Menschen arbeiten, die an andere Stelle dringend gebraucht würden, um etwas Sinnvolles in dieser Welt und unsere Gesellschaft beizutragen.

Was ist zu also tun, um die Regulierung, direkte oder ausgelagerte endlich einzudämmen?

Am Anfang steht immerhin Erkenntnis, und die hat sich inzwischen verfestigt: Wir müssen unbedingt handeln, Bürokratie muss dringend abgebaut werden! — und die Bundesregierung handelt. Inzwischen ist das vierte Bürokratieabbau Gesetz beschlossen und weitere Beamte und Angestellte befassen sich nun regulierend mit der Deregulierung . Die Lichtungen, die sie bisher in den Dschungel schlagen konnten, sind umgehend wieder zugewuchert. Besonders gepriesen wurde jüngst die Entscheidung, dass Unterlagen von Unternehmen anstatt zehn Jahren nur noch acht Jahre aufbewahrt werden müssen. Ein Quantensprung oder sollte ich sagen, ein Hopser im Dschungel?

Wenn ich recht informiert bis soll in Deutschland, wie in Europa, für jedes Gesetz, das neu dazukommt, eine altes gestrichen werden — von diesem hehren Ziel sind wir leider weit entfernt. Aktuell erhalten wir Unternehmen für eine Streichung etwa vier neue Verordnungen.

Unbestritten leben wir hier in Deutschland mit einem Maximum an Bürokratie und Regulierungen und das bei einer nach oben offenen Richterskala. Was tun? Ich hätte einen Idee: Wie wärs, wenn Brüssel, Berlin und München einfach mal ein oder zwei Jahre aussetzen, mit neuen Gesetzen, Regelungen und Verordnungen oder auch Anpassungen? Denn, tatsächlich ist es nicht nur die schiere Anzahl, es sind auch die beständigen Änderungen, die kaum zu bewältigen sind und immer wieder neu zu Rechtsunsicherheit führen.

Nebenbei das Problem Überregulierung betrifft nicht nur Unternehmen sondern jeden hier Lebenden. Ja, selbst die Verwaltungen ächzen inzwischen unter den Vorgaben, die sie umsetzen sollen und bemühen sich weiter Verwaltungsangestellte einzustellen.

Nun einige Beispiele aus verschiedensten Bereichen: Eine studierte Nichte erzählte mir kürzlich, dass sie aktuell, auch aufgrund der sich beständig ändernden Gesetzeslage, nicht in der Lage sei, ein geeigneten Antrag zum Kindergeld zu stellen, die Geburt steht bevor. Auch die zuständige Sachbearbeiterin der Behörde fand keine Lösung für sie.

Seit drei Wochen versucht eine gute Bekannte ihre Haushaltshilfe ehrlich anzumelden. Da diese jedoch mehreren kleineren Tätigkeiten nachgeht, ist dieses Ansinnen beliebig kompliziert, inzwischen wird sie vom zweiten Steuerberater unterstützt.

Letzte Woche berichtete die lokale Zeitung von einem Verwaltungskalauer. Weil sie ihre Grünanlagen aus Kostengründen selber und ohne planenden Architekten angelegt haben, droht dem Landratsamt nun, dass die beantragten Fördergelder für das eigentliche Bauvorhaben empfindlich zusammengestrichen werden. Damit alles seine Ordnung hat, muss das Landratsamt nun im Nachhinein einen Landschaftsarchitekten mit Planung und Durchführung beauftragen und auch bezahlen, obwohl die Umsetzung schon längs erfolgt ist. Fasse es, wer es fassen kann.

Als Unternehmer schaue ich natürlich besonders gerne auf meine eigene Berufsgruppe.

Ein befreundeter Unternehmer kommentierte letzte Woche den Stand der Regulierungen wie folgt: Nach dem Krieg zur Zeit des Wirtschaftswunders hatten wir Freiheit. Er nennt die Freiheit als erstes erforderliches Gut für eine funktionierende Marktwirtschaft. Ich möchte ergänzen: Ich vermute, dass der komplette Zusammenbruch der Verwaltung, nach der Kapitulation der Nationalsozialisten, eine nahezu unregulierte Gesellschaft hinterlassen hat. Nur so wurde das deutsche Wirtschaftswunder möglich. Anstatt Regulierungen gab es den Mut, den Willen und den Fleiß der Menschen zum Wiederaufbau.

In meinem Leben hatte ich die Chance, sieben Jahre Stadtrat in Miltenberg zu sein. Eine besondere Verblüffung und Erkenntnis war gleich im ersten Jahr, dass eine Stadt wie Miltenberg keine einzige größere Entscheidung ohne die Fördertöpfe der Regierung fällt oder fällen kann. Dahinter verbirgt sich ein letztlich perfides System: je besser es einer Stadt finanziell geht, desto größer sind ihre Abgaben an Kreis und Land. Gleichzeitig werden von der Regierung städtischen Ausgaben gefördert, reguliert, in die Bahnen gelenkt und kontrolliert. Mit diesem Zweiklang, nehmen und geben liegt fast jede Entscheidung bei der Regierung, von einem selbstständigen Stadtparlament kann, zumindest in einer kleinen Stadt kaum die Rede sein.

Inzwischen erleben wir etwas ähnliches im unternehmerischen Bereich. Die Abgabenlast in Deutschland ist sehr hoch. Die Regierung denkt jedoch nicht an Reduzierungen. Dieselbe Regierung bietet jedoch eine wachsende Fülle an Subventionen. Und die Unternehmen? — zumindest wenn sie knapp bei Kasse sind, und wirtschaftlich sinnvoll entscheiden wollen, investieren genau da, wo der Staat es vorgibt, oder sie investieren nicht und warten auf das nächste Förderpaket. Und dieser Förderdschungel, Sie erraten es, ist wieder nur mit Pfadfindern begehbar, die typischerweise 15 % jeder Subvention für die Wegbereitung abgreifen. Letztendlich wird unternehmerisches Handel eingeschränkt, umgelenkt, gelähmt und verzögert. Mit dem aktuell beständig wachsenden Subventionsangebot, bei gleichzeitig hoher Steuerlast, reguliert der Staat alle größeren unternehmerischen Entscheidungen, wie es ihm in den Kram passt. Und, er verbrennt dabei massenweise Geld, denn es ist eine Binsenweisheit, dass jeder eingesammelte Euro als ausgegebene Subvention höchstens noch 0,50 € wert ist. Den Rest verschlingen Staatsapparat, Verwaltung und tertiäre Berater, die versuchen die immer komplexeren Vorgaben erklären.

Dabei ist der Staat niemals der bessere Unternehmer — unter anderem weil in der Politik so gut wie keine Unternehmer tätig sind — dafür Juristen, Volkswirte und Lehrer, die, trotz fester Überzeugung, denkbar wenig Ahnung von Marktwirtschaft haben. Und ja, es ist richtig: der Staat darf und muss Leitplanken vorgeben. Er sollte dabei jedoch unbedingt Technologieoffenheit gewähren, sich ideologisch motivierter Vorgaben enthalten und lieber Steuern reduzieren als verteilen (das macht natürlich weniger Spaß). Darüber hinaus sind Detailregulierungen im Klein-Klein unbedingt zu unterlassen. Klarheit, Verständlichkeit und Umsetzbarkeit sind viel besser als Detailgerechtigkeit.

Exkurs: Die neuesten Verordnungen zu Cannabis geben ein gutes Beispiel, wie Gesetzgebung bei uns Usus ist: nun ist detailliert geregelt, in welcher Zahl, in welchem Abstand, wo und von wem Cannabis angebaut werden darf. Handel, Bevorratung, Mitführung und Konsum alles ist exakt geregelt. — Was für ein unkontrollierbarer Unfug!

Doch zurück zur Wirtschaft: Wir alle wissen, dass ein nachhaltiges Handeln mindestens drei Säulen hat: Ökonomie, Ökologie und Soziales. Dieser Dreiklang steht unser demokratischen Gesellschaft gut zu Gesicht. Wichtig ist jedoch, dass die Balance zwischen diesen dreien gehalten wird und das Wissen lebendig bleibt, dass durch Ökonomie das erwirtschaftet wird, was für Ökologie und Soziales wieder ausgegeben werden kann, nicht umgekehrt! In meiner Jugend war die Säule Ökologie viel zu schwach und wir haben dafür gekämpft ihr mehr Gewicht zu verleihen. Heute glauben wir die Ökonomie vernachlässigen zu können, es geht uns ja so gut — ein fataler Irrtum.

Aktuell bewegen bei uns leider immer weiter weg von der Marktwirtschaft hin zu einer wenig konkurrenzfähigen Plan- und Subventionswirtschaft. Wer als Unternehmer darauf keine Lust mehr hat, investiert aktuell in den USA oder anderen Ländern, in denen die Regulierungen wesentlich geringer sind und anstatt Subventionen Steuererleichterung gewährt werden.

Johannes Oswald, Miltenberg, 19.04.2024