aus der Freitagsausgabe des Boten vom Untermain, 08.07.11, Politisches Feuilleton
Sehr geehrter Herr Mohr, ich bin 50 Jahre alt Ingenieur und Unternehmer und zähle zu den Pazifisten, die aus Ihrer Sicht: „vor allem den Frieden mit sich selbst suchen“ und die Sie, um Ihre Unglaubwürdigkeit zu belegen mit ehemaligen SED Protagonisten in einen Topf werfen. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob Pazifisten einen unrealistischen Kuschelkurs fahren; dass sie letztendlich die größeren Realisten sind, möchte ich Ihnen gerne erklären.
Der nicht unbedingt klarere, jedoch immer plastischere Blick auf die oft schrecklichen Ereignisse dieser Welt lässt den Revolver am Gürtel eines jeden echten Cowboys zucken. Wie gerne würden wir quasi in einer Mischung aus Terminator, Gentlemen und Ersthelfer auf der Seite der Guten eingreifen und helfen, völlig ohne Eigeninteresse versteht sich. – Doch bevor wir die Uranpatronen in den Gürtel schieben und die Sprengminen ans Halfter hängen, lassen Sie uns, als gebildeten Westeuropäer, noch kurz und vor allem ergebnisorientiert auf zurückliegende, kriegerische Auseinandersetzungen blicken.
Unsere letzten Kriege waren 1870/71, 1914/18 und 1939/45. 1870/71 erkämpften sich die Deutschen einen ‚glorreicher Sieg‘ gegen die Franzosen. Der deutsche Nationalstolz jubelte, der französische lag am Boden. Diese Demütigung Frankreichs kam uns später teuer zu stehen. 1914/18 in der ersten großen Materialschlacht der Geschichte starben 17 Mio. Menschen. Die Kapitulationsbedingungen des Versailler Vertrags bereiteten dem Nationalsozialisten den Boden und sind indirekt Ursache für den noch katastrophaleren Zweiten Weltkrieg mit 50 – 60 Mio. Toten, die Zerstörung vieler Kulturgüter, aller großen deutschen Städte und Ursache für unendliches Leid von zig Millionen Menschen dieser Welt. War einer dieser Kriege sinnvoll oder aus heutiger Sicht durch irgendetwas zu rechtfertigen?
Ach so, diese Kriege haben Sie nicht gemeint? O.k., wir sind uns also einig, dass war nicht wirklich gut! Doch zumindest 70/71 und 14/18 sind unsere Soldaten durchaus euphorisch in den Krieg gezogen. 39/45 war das schon anders, aber auch hier kennen wir alle die Filmaufzeichnung in der Zehntausende Hitler die Antwort auf die Frage: „Wollt ihr den totalen Krieg“ geben.
Doch schauen wir mal auf die jüngeren Kriege, in denen meist die USA ‚Verantwortung für die Welt‘ übernommen hat. Die grundlegende Idee war und ist dabei: Der eigene „way of life“ müsse selbstverständlich der Wunsch aller Menschen dieser Welt sein, wann und wo auch immer. Welche furchtbaren menschlichen und politischen Katastrohen hat diese naive und gut gemeinte Vision in Vietnam, Kambodscha, Korea, Irak oder Afghanistan angerichtet. Oder meinen Sie den glorreichen Krieg von Margret Thatcher um die Falklandinseln? Die Kriege der UDSSR will ich gar nicht nennen, denn, dass die ‚Bösen‘ böse Kriege führen, war uns ja ohnehin klar. Über die Kriege in Schwarzafrika brauchen wir auch nicht reden, denn darüber reden wir sowieso nicht gerne. Doch Ihnen, Herr Mohr, geht es ja um uns, um die guten Realisten, die objektiv einschätzen können, wann ein Krieg für die Menschen vor Ort sinnvoll ist.
Also blicken wir in die jüngste Geschichte. Wieder Irak, nochmal Afghanistan, da waren und sind wir ja endlich auch mal wieder dabei. Verwüstete Landstriche, Bürgerkriege, Brutstätten des Terrorismus … Nein, das haben Sie auch nicht gemeint?
Jetzt bleibt aber nicht mehr viel übrig, was gut ausgehen könnte.
Sehr geehrter Herr Mohr, ich vermute auch Sie unterliegen der gängigen Illusion, dass sich heute mit einem gezielten Einsatz unter Schonung der Zivilbevölkerungen ein chirurgischer Schlag gegen korrupte Systeme ausführen lässt? Ist es das, was Sie meinen? Diese Illusion teilen Sie zumindest mit einigen Mächtigen dieser Welt.
Die Berichte aus Libyen und die Ignoranz der Machthaber haben auch mich ins Wanken gebracht, aber wissen Sie wie viele Wochen und Monate dieser chirurgische Eingriff nun schon dauert? Hatten wir nicht alle erwartet, dass die Guten und Unterdrückten umgehend die Seite wechseln und der Rest wie ein Kartenhaus zusammenfallen würde? Realistischer Weise müssen wir konstatieren: es gibt ihn nicht diesen schonenden Eingriff oder sauberen Krieg. Und es gibt auch keine Guten und Bösen in dieser Welt. Es wäre so schön gewesen, oder? Kommen Sie zurück auf den Boden der Tatsachen. Auch die jüngsten Kriege haben den Menschen keine Vorteile gebracht, sondern im Gegenteil: immer wieder Tod und Leid. Weite Landstriche sind heute, lange nach Ende der jeweiligen kriegerischen Handlungen, vermint und sie fordern jährliche ihre Opfer. Wir sollten endlich eingestehen: die Fragen und Probleme der Völker waren und sind mit Kriegen nicht zu lösen! Auch die noch so gut gemeinten Einsätze, wie z.B. die der Bundeswehr in Afghanistan, erweisen sich letztendlich als kontraproduktiv.
Sehr geehrter Herr Mohr, beim bestens Willen kann ich keine kriegerische Auseinandersetzung erkennen, die im Nachhinein betrachtet im Sinne der Menschen als erfolgreich und richtig eingeschätzt werden könnte.
Wir gut gesättigten, individualisierten Westler, ausgestattet mit allen Freiheiten, die unsere Vorfahren vom Bauernkrieg bis heute blutig erstritten haben, glauben zu wissen, wohin der Weg anderer führen sollte und müsste. Dazu ignorieren wir Traditionen, Denkmustern, Gemeinsinn oder Informationsstand der andere und spielen leichtfertig mit dem Gedanken, unsere Überzeugung mit überlegener Waffengewalt durchsetzen zu dürfen. 66 Jahre Frieden in Deutschland birgt die große Gefahr, dass die Schrecken des Krieges verniedlicht werden. Inzwischen reden wir von Verantwortung für die Welt und gehen immer mehr davon aus, dass Krieg für eine gute Sache – natürlich, solange er nicht im eigenen Land stattfindet – kalkulierbar, ja machbar ist. Das ist ein katastrophaler Irrtum, der uns leichtfertig Kopf und Kragen anderer riskieren lässt.
Die Naivität liegt nicht auf Seiten der Pazifisten, sondern auf Seiten derer, die Krieg für ein Mittel der Wahl halten. Die glauben mit unmenschlicher Gewalt Menschlichkeit oder Gerechtigkeit erzeugen zu können.
Übrigens, wir haben ganz andere Ereignisse, die wir exportieren und mit denen wir die Welt verändern können: Aus einer Jahrhunderte alten Feindschaft mit Frankreich wurde in den letzten Jahrzehnten eine echte und ehrliche Freundschaft. Erzfeinde, die sich ausgesöhnt haben, das ist eine überwältigende Botschaft!
Wir, vor allem aber die Deutschen mit DDR Vergangenheit, haben eine friedliche Wiedervereinigung erreicht, ohne einen einzigen Schuss, darauf können wir enorm stolz sein. Und glauben Sie mir, darauf schaut die Welt und spricht davon.
Oder unser Wirtschaftswunder, das unsere Eltern und Großeltern auf den Trümmern der Vergangenheit gebaut haben, oder letztendlich 66 Jahren Frieden mit allen Nachbarn. Das sind Exportschlager, gegen die alle Leopards, U-Boote und Minen, die wir exportieren, mickrig und blass aussehen.