Wie ehrlich sind wir Menschen?
Seit Beginn von Donald Trumps Präsidentschaft existiert eine nicht enden wollende Statistik seiner Lügen. Kennen Sie diese Fieberkurve? Unbegreiflich, und doch ist bei der Bewertung auch Vorsicht geboten. Denn Fake News sind keine Erfindung von Donald Trump. Sicher Donald hat es auf die Spitze getrieben, denn wer sonst hat in unseren Tagen so dreist und unverfroren gelogen, wie er? … da müsste man lange suchen.
Die Frage an uns selbst lautet, warum sind wir Menschen nicht so ehrlich, so wie es fast alle Arten von Gemeinschaft, Gesellschaft und Kirche gerne hätten und postulieren? wie wir es zu Hause gelernt haben? … d.h. stimmt das überhaupt?
Lassen sie sich im Folgenden mit mir auf eine Gradwanderung zwischen Wahrheit und Lügengeschichten ein.
Vorab, ja, im Wesentlichen sind wir Menschen ehrlich und geradlinig. Immer geneigt Gut von Böse, Wahr von Unwahr und Gerecht von Ungerecht zu unterscheiden. So sind wir und dieses gemeinsame Verständnis lässt uns sicheren Schritts durchs Leben gehen. Typen wir Donald Trump empören uns zu recht, denn sie rütteln an der Grundfeste unserer Gesellschaft und auch an dem Selbstverständnis, mit dem wir gerne als westliche Welt auftreten, mit Werten, Demokratien und erhobenem Zeigefinger. Da passt einer, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und darüber hinaus Präsident der größten westlichen Demokratie ist, nicht gut ins Bild.
Woher kommt eigentlich unser westliches Bild der Wahrheit, ja vielmehr unser Weltbild der Wahrheit? Denn wir brauchen uns nicht einbilden, dass es andere Völker mit der Wahrheit weniger genau nehmen als wir. Die Wahrheit scheint so einen Art Kit jeder Gemeinschaft zu sein. Verhaltensforscher lassen vermuten, dass es ein, seit Jahrmillionen in uns angelegtes Wahrheits- und Gerechtigkeitsgefühl gibt, das in jeder menschlichen Gesellschaften ausbuchstabiert wurde. Wir brauchen Grundwerte, an die wir uns halten können, sonst funktioniert Gemeinschaft nicht. Ganz besonders dann, wenn die menschlichen Gesellschaften aufgrund ihre Größe immer anonymer werden. In unserer westlichen Welt sind wir geprägt von den Werten des Christlichen Abendlandes, ob wir uns zu einer Glaubensgemeinschaft zählen oder nicht. Dazu ein paar Zitate aus der Bibel: Jesus sagt: „Ich bin dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme (Joh. 18,38)“. Oder: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaft meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien (Johannes 8:31–32)“. Jesus sagte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich (Johannes 14:6)“
Und dann bei Jesu Verurteilung fragt Pilatus zurück: „Was ist Wahrheit?“ Und bis heute bleibt die Frage nach der Wahrheit eine der wichtigsten Fragen unseres Lebens. Zurecht wollen wir wissen: ist etwas wahr oder falsch? und wie entsteht daraus Wahrheit? Nun ja, sobald wir glauben sie erkannt zu haben, können glühen für diese unsere Wahrheit, und gerne verabsolutieren wir sie. Und wir lieben es, uns mit denen zu treffen, mit denen zu chatten, die mit uns ,eine Wahrheit‚ teilen. Übrigens: Google und Co. unterstützen diesen Wunsch inzwischen gerne und schicken uns immer wieder genau das, was unser Weltbild bestärkt — eine tatsächlich gefährliche Entwicklung, denn so müssen wir uns immer seltener mit denen auseinandersetzen, die eine andere Wahrheit haben und unsere Intoleranz wächst.
Vor etwa 2500 Jahren ließ Platon Sokrates von den ‚Drei Sieben‘ erzählen, er sagt: „Bevor Du mir davon erzählst, möchte ich, dass Du einen kleinen Test machst, den ich ‚die drei Siebe’ nenne.“ Bevor
Du aussprichst, was Du sagen willst, prüfe es. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast Du absolut sichergestellt, dass es wahr ist, was Du mir erzählen willst?“ Nein? Dann lass uns zum zweiten Test kommen. Das Sieb der Güte. „Ist, was Du mir über meinen Schüler erzählen willst, etwas Gutes?“ Nein? Das dritte Sieb ist das Sieb der Nützlichkeit. „Ist, was Du mir mitteilen möchtest, hilfreich für mich?“ Nein? „Wenn es also weder wahr ist, noch gut oder zumindest nützlich, warum solltest Du es mir dann überhaupt erzählen?“. Hier scheint eine anderes menschliches ‚Sosein‘ durch: denn allzu gerne geben wir Neuigkeiten weiter, oft ohne deren Wahrheitsgehalt genauer zu überprüfen. Vermutlich diente diese Geschwätzigkeit in archaischen Gemeinschaften der Gefahrenabwehr — andererseits hätte es ohne die verbindende Kommunikation keine menschliche Entwicklung gegeben. Im Team sind wir immer besser, innovativer, gerechter, ausgewogener als alleine und das geht nur mit Sprache.
Kommunikation ist also die Voraussetzung für unsere menschlich so einmalige Entwicklungsfähigkeit. Und doch ist die Geschwätzigkeit ein Gegenpol der Wahrheit. Ein Dilemma, das wir wohl in Kauf nehmen müssen und gleichzeitig ein Auftrag, unsere persönliche Wahrheit immer wieder neu auszurichten.
Platon zitiert Sokrates mit den Worten: „ich weiß, dass ich nichts weiß, doch ich suche die Wahrheit“ „Das Zitat steht bei Platon für die Entwicklung der eigenen Erkenntnis von der Entlarvung des Scheinwissens über das bewusste Nichtwissen hin zur Weisheit der Tugend.“ (Zitat?) Würden Donald Trump und andere Verbreiter von ‚fake news‘ diese Jahrtausend alten Erkenntnisse beherzigen, könnten wir alle besser schlafen.
Offen bleibt immer noch ob es eine, über alle Menschen und Zeiten, allgemein gültige Wahrheit gibt? Die Psychologie sagt heute ernüchternd lapidar: „Meine Wahrheit ist nicht deine Wahrheit“ und relativiert damit die Existenz der einen untrügerischen Wahrheit.
Tatsächlich relevant wird die Frage der Wahrheit erst in der Begegnung mit dem ,Du‘. Immanuel Kant gibt uns hier eine Art moralischer Kompass für den Alltag mit auf den Weg: Den Kategorische Imperativ. Er sagt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Etwas einfacher, aber auch verkürzt ausgedrückt: „Was du nicht willst das man dir tut, das füg auch keinem andren zu.“ Letztlich ist die Wahrheit wie wir sie leben immer auch ein Commitment innerhalb einer jeweiligen Gesellschaft in der wir leben. Doch schauen wir auf unseren persönlichen Alltag. Wie genau halte ich mich, halten wir uns, an die Wahrheit und wann müssen wir aufpassen?
Im Tierreich ist es üblich, dass sich nur das Alphamännchen fortpflanzen darf. Das ist das Gesetzt, das Commitment, der Gruppe, und für diese Position wird bekanntermaßen heftig gekämpft. Um auch aus der niederen Hierarchie gegen dieses Gesetz, diese Wahrheit, zum Zug zu kommen bluffen Tiere, führen eigenen Artgenossen hinters Licht, oder nutzen unbeobachtete Momente um die eigenen Gene weitergeben zu können. Ein Makake am Ende der Hierarchie, bringt seine Artgenossen mit einem schrillen Warnruf einem falschen Alarm zum Fliehen, um sich über das Mahl herzumachen, das ihm so nicht zustehen würde. Auch wir Menschen sind geübt in kleineren Betrügereien, die uns oder unserer Gruppe einen Vorteil verschaffen. Manche Unkorrektheiten bezeichnen wir sogar als clever und kommentieren sie mit einem achtungsvoll Augenzwinkern und dem Zusatzgedanken: ,Du darfst du dich halt nicht erwischen lassen’. Besonders problemlos tolerieren wir die Unwahrheit, solange nur‘ ein anonymes Konstrukt geschädigt wird, wie eine Versicherung oder der Staat. Im Gegenteil wir sagen: „Wenn du zu viel Steuern zahlst, dann machst du etwas falsch.“ Wenn unbeliebte Mächtigere von Schwächeren geschädigt werden, quittieren wir das sogar mit Applaus. Auch verzichten wir gerne auf die Wahrheit, um uns selbst und die Unsere zu schützen, um einen persönlichen Vorteil zu ergattern oder um in der Gunst der Mächtigen zu bleiben. Gleichzeitig verachten wir derartiges Verhalten, indem wir den Verzicht auf Wahrheit mit: sich einschleimen, buckeln, auf lieb Kind machen, sich anzubiedern kommentieren. Das Problem der Mächtigen ist dabei, dass ihnen das Korrektiv fehlt, denn keiner sagt ihnen die Wahrheit. Kluge Mächtige leisteten sich deshalb einen eigenen Hofnarren, der zu jeder Zeit, ungestraft und ohne Einhaltung der Etikette die Wahrheit sagen durfte.
Tatsächlich stellt sich weniger also die Frage nach der absoluten Wahrheit, als vielmehr die Frage, wie ich meine persönliche Gradwanderung zwischen wahr und unwahr definiere. In jedem Fall lässt sich festhalten: Je anonymer eine Gesellschaft ist, desto leichter, verschiebt sich der Grad Richtung unwahr. Je persönlicher, vertrauter und direkter unser Kontakt ist, desto ehrlicher sind wir miteinander.
Und die Antwort auf die Frage von Pilatus: Was ist Wahrheit? — sie bleibt bis auf weiteres offen …
Johannes Oswald 14.03.18